Sonntag, 22. April 2012

Die Woche der Alternativen


„Der April, der April, der macht was er will“
Das Engadin ist immer wieder gut für Wetterüberraschungen und wirft damit meinen Trainingsplan ordentlich durcheinander. In der letzten Woche setze gegen Nachmittag immer heftiger Schneefall ein, der die Landschaft vom frühlingshaften Grün in ein winterliches Weiss tauchte. Wenn ich also vormittags keine Zeit zum trainieren hatte, durfte ich mich im weiteren Verlauf des Tages auf stürmisches Treiben einstellen. Zudem kommt noch, dass mein Körper immer noch etwas Zeit braucht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich auch 4 Wochen nach meinem Sieg als erste Frau noch so intensiv an die 250km denken würde. Aber der Körper speichert in jeder Zelle jegliches Ereignis ab; und manch ein Erlebnis braucht halt mehr Zeit, bis es verarbeitet ist. Aber vielleicht ist es auch wieder nur eine Frage der inneren Ausrichtung: Ich sage mir ab heute mal, dass ich wieder fit bin. Mal schauen, wie es funktioniert!
In den ersten zwei Wochen nach dem Wettkampf habe ich mich einfach mal treiben lassen und die Bewegung nicht unbedingt gesucht. Das wird mir für die nächste „post-Race-Regenerationsphase“ ein Lehre sein. Als ich wieder in mein normales Training (ca. 80-120km pro Woche) einsteigen wollte, quälten mich Verspannungen an Hüfte, Knie und Ferse. Ich fühlte mich nach den ersten 35 km wie am Anfang meiner Wüstenvorbereitung! Kaum zu glauben, aber wahr. Das Erfreuliche war und ist aber, dass die allgemeine Leistung besser geworden ist. Ich bin schneller geworden! Aber die Muskeln, Sehnen und Bänder „hinken“ etwas hinterher und hier muss ich höllisch aufpassen, dass ich mich nicht überfordere. Jede Struktur braucht ihre eigene Zeit, um sich den Bedingungen anzupassen. Lieber mit Motivation einen Ruhetag einlegen, als ohne Motivation zu laufen. Denn die Ruhephase ist das A&O. Nur in dieser Phase kann der Körper die Speicher wieder voll auffüllen. Warten war allerdings noch nie meine Stärke; das ist wohl eine Erkenntnis, die ich in meiner Wüstenvorbereitung lernen werde: Geduldig sein und auch mal durchzuatmen!
Mit dem Training für die Gobi Wüste im Juni (am 6.6. ist Abflug) habe ich offiziell am 26.3. wieder begonnen. In den Tagen zuvor habe ich ein paar Skitouren gemacht oder bin im Speed-Tempo die Skipisten raufgesprintet. Und meine Speicher mit Kuchen aufgefüllt...
Mein Motto für die Vorbereitung ist: die Form halten und schneller werden. Somit habe ich die vergangene Trainingswoche auch mit einem Intervalltraining auf dem Sportplatz begonnen. Zu meiner grossen Freude hatten sich Beat und Cyrille mit mir verabredet; die beiden sind auch extrem gute Ausdauersportler und leben hier im Tal. Wir haben uns gut aufgewärmt und dann drei Serien der Methode „High Intensity Training“ absolviert: 10 Wiederholungen à 10 Sekunden Sprint mit vollem Tempo und 10 Sekunden Pause. Tönt easy, ist es aber nicht. Danach 10 Minuten Trabpause und die gleiche Serie für zwei weitere Wiederholungen. Im Anschluss bin ich noch 11km im lockeren Tempo um den Champferersee gelaufen. Am Dienstag standen einige Trainings im Ausdauerbereich mit meinem Kunden auf dem Programm, so dass ich davon profitieren konnte. Das Wetter war am Mittwoch so verschneit, dass ich das Training ins Hallenbad verschieben musste. „Kacheln zählen“ ist definitiv nicht meine Lieblingssportart. Und wenn dann auch noch alle Schulkinder ihr Kunststücke auf dem Sprungturm zeigen müssen und das Wasser dadurch sehr unruhig ist, vergeht mir die Lust. Ich habe mich dennoch zu drei Kilometern Crawl überredet. Trotz der Massen des Neuschnees wagte ich mich am Donnerstag zum Hahnensee. Ich hatte vorsorglich die Wanderstöcke dabei, die ich auch dringend benötigte! Normalerweise brauche ich für die Strecke (5km mit 400hm) ca. 35 Minuten. Da ich meinen Rucksack mit sechs Wasserflachen à 1.5 Liter geladen hatte, war ich natürlich ziemlich schwer und sackte ziemlich tief ein. Der Schnee war teilweise hüfthoch, so dass ich völlig erschöpft nach 1h05min das Ziel erreichte. Ich hatte zum Glück gute Profilschuhe von Salomon angezogen, mit denen ich guten Grip hatte! Der Rückweg war dann das reinste Vergnügen: Wie ein Gemsli bin ich durch die hohen Schneemassen gesprungen und teilweise auch auf allen Vieren gerutscht. Für den Freitag hatte ich mir ein „Kombitraining“ überlegt. Zuerst 20km mit Rucksack joggen (Val Roseg) und dann auf direktem Wege ins Hallenbad. Dort nochmals zwei schnelle Kilometer und fertig war das Training. Der Rückweg mit dem Bus war dann die grössere Herausforderung, da in der Zwischensaison die Busse nur selten fahren und dann auch nicht jede Haltestelle ansteuern…
Das Highlight folgte am Samstag. Ein Shoppingtrip nach Chiavenna (Italien, 45min von St. Moritz entfernt) endet damit, dass ich die Strecke ab Promontogno bis nach St. Moritz zurück laufen wollte (ca. 38km mit 1000hm). Der Weg startete über schöne grüne Wiesen, über Flüsse und fantastische Trails immer weiter bergauf. Da Frau Holle auch im Bergell ihre Federn ausgeschüttet hatte, stand ich alsbald wieder mit den Füssen im Schnee. Bis zum kurvenreichen und sehr steilen Malojapass kam ich jedoch gut voran. Mein Weg führte mich dann alternativ über einen Wanderweg durch den Wald steil bergauf bis nach Maloja. Nach gut ¼ des Weges stand ich vor einem ziemlichen Problem: Tiefe Schneemassen „versperrten“ das Weiterkommen. Nun stand ich vor der Frage: Umkehren und all die gewonnenen Höhenmeter wieder runter oder weiter. Und natürlich ging es weiter, immer weiter! Der Schnee an sich war dann das kleinere Problem. Denn die Orientierung war jedoch gleich Null, da ich weit und breit keine Markierungen erkennen konnte. Mein Orientierungssinn schickte mich dann querfeldein die steilen Hänge hoch. Auf allen Vieren kroch ich mit meinen Sommerlaufschuhen ohne Profil durch den Schnee, in der Hoffnung, irgendwo Wegzeichen zu finden. Nach einer Weile war ich ziemlich weit oben angekommen; nur ging es anschliessend jeweils links und rechts steil bergab. Laut fluchend hatte ich mich in eine Sackgasse manövriert. Und als ich so fluchend auf dem Cliff stand und umherschaute, erblickte ich just in dem Moment weiter unten eine grosse Markierung! Auf dem Hosenboden bin ich dann wieder runtergerutscht, um wieder ohne Orientierung die nächste Markierung zu suchen. Das Spiel ging eine ganze Weile so weiter und kostete mich enorm viel Zeit und Kraft. Meine Füsse waren inzwischen Eisbeine und auch das Wetter veränderte sich zunehmend. Mein Instinkt trieb mich aber vorwärts in die richtige Richtung und irgendwann kam ich zu einem Schild, welches die Gletschermühlen signalisierte. Gletschermühlen? Das bedeutete auf der einen Seite, dass das Dorf Maloja in unmittelbarer Nähe sein musste; aber auch, dass auf dem Gelände grosse Löcher waren, die sogenannten Gletschertöpfe. Ich hatte auf einmal grosse Sorge in einen der Töpfe zu stürzen und hangelte mich vorsichtig von Strauch zu Strauch bis ich auf einem völlig aufgeweichten Schlammfeld ankam. Eine kleine Moorpackung um die Beine konnte jetzt auch nicht mehr schaden. Nach weiteren 10Metern hatte ich dann glücklicherweise die Strasse wieder erreicht. Ich war ziemlich durchgefroren und war wenig motiviert, noch weitere 15km bis nach St. Moritz durch Tiefschnee zu rennen. Zu meiner grossen Erleichterung hatte ich mit meiner Ankunft an der Bushaltestelle eine günstige Zeit erwischt. Der Bus, der nur einmal in der Stunde fährt, kam in kürzester Zeit und brachte mich sicher zurück. Auch wenn es nur 20km waren, hatte sich das Abenteuer gelohnt!
Sonntag war dann der Ofen ganz aus und zwang mich zur Pause. Über Nacht hatte es 50 cm Neuschnee gegeben! Und da Zwischensaison ist, kamen die Räumfahrzeuge erst gegen Mittag in meinem Quartier vorbei. Somit tauschte ich den 40km Lauf mit einem „Schneeräumworkout“ und „Putzworkout“. Alles ist für irgendetwas gut und die Pause heute tat meinen Beinen sicher auch mal gut…
Hier noch meine Musiktipp. The naked and famous "All of this"


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